Dienstag, 15. Juni 2010

Der Homo Oeconomicus

Volkswirtschaft ist eine interessante Wissenschaft. Nach welchen Prinzipien die Ökonomien von Staaten organisiert werden ist hochgradig komplex und fasziniert mich seit einiger Zeit.

Grob gesagt, wir die Volkswirtschaft oft als ein System aus Regeln angesehen, dessen Zweck es ist das Wirtschaftsystem eines Staates zu lenken und dadurch bestimmte Ziele zu erfüllen. In den meisten modernen Staaten besteht das Wirtschaftssystem dabei aus einer Ansammlung aus Individuuen, die für ihren eigenen persönlichen Vorteil arbeiten. (Der Versuch, die Individuuen direkt für das Gesamtwohl arbeiten zu lassen hat bekanntermaßen nicht besonders gut funktioniert)

Ein gängiges Modell für das Verhalten dieser Individuuen ist dabei der Homo Oeconomicus, der rational auf seine Eigeninteressen zuarbeitende Mensch. Volkwissenschaftler behaupten dabei nicht, dass der Homo Oeconomicus die Realität wiederspiegelt, sondern dass es sich um eine nützliche Vereinfachung des menschlichen Verhaltens handelt, die hilft das existierende Wirtschaftssystem zu verstehen.

Meiner Meinung ist diese Vereinfachung in vielen Situationen unbrauchbar. Wenn man sich die Situation des einfachen Verbrauchers anschaut wird schnell klar, dass dort das Konzept des Homo Oeconomicus nicht gilt. Der gesamte Wirtschaftszweig der Werbung und des Marketings existiert nur, weil Verbraucher im allgemeinen eben nicht rational, sondern instinktiv handeln. Würden alle Verbraucher stets zunächst Ziele aufstellen und dann den effizientesten Weg zur Erfüllung dieser Ziele verfolgen, so wäre die Werbeindustrie schlicht überflüssig und es würde ausreichen, alle relevanten Fakten in trockener und übersichtlicher Form am zu verkaufenden Produkt auszuweisen. Menschen handeln aber gerade nicht rational und deswegen existiert eine Werbeindustrie, deren einziger Zweck darin besteht uns in der Wahl unserer Ziele und Mittel zu beeinflussen.

Tatsächlich gibt es meiner Meinung nach mindestens zwei allgemeine Probleme mit dem Homo Oeconomicus.

Zum einen erfordert vollständig rationales, bzw. optimales, Handeln zur Erfüllung bestimmter, vorgegebener Ziele, permanent das Lösen äußerst schwerer Optimierungsprobleme. Das Travelling Salesman Problem ist nicht umsonst nach einem Handlungsreisenden benannt, der von seiner Lösung profitieren würde. Da optimale Lösungen für solche Probleme für einzelne Teilnehmer des Wirtschaftssystem nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand zu berechnen sind, müssen sie sich auf Approximationen, oder (wahrscheinlicher) Heuristiken verlassen. In der Tat denke ich, dass Menschen auf dem Wege der Evolution (und Erziehung) mit einer Menge von Heuristiken ausgestattet wurden, die in bestimmten Situationen gute (brauchbare) Lösungen für die anfallenden Probleme liefern. Da sich die Heuristiken aber unter und für bestimmte Umweltbedingungen entwickelt haben, kann eine Untersuchung Schwächen aufdecken. Man kann es nun als Zweck der Werbeindustrie ansehen, solche Schwächen aufzudecken und auszunutzen um das Verhalten der Menschen zu manipulieren. (Vermutlich ist es aber garnicht möglich Menschen effektiv zu informieren ohne diese Heuristiken zu berücksichtigen)

Zum anderen nimmt der Homo Oeconomicus einen wesentlichen Bestandteil des Menschen von der Rationalität aus: Die Wahl seiner Ziele. Das macht natürlich viel Sinn, da es oft unmöglich ist zu sagen ob ein bestimmtes Ziel nun rational ist oder nicht. Es hat aber auch das Problem, dass die Ziele eines Menschen voneinander abhängig sind. Ein Ziel ist oft ein Mittel zur Erreichung eines nächsten Ziels. Ein Mensch kann z.B. das Ziel haben, einen Porsche zu kaufen, damit sie ihre Nachbarin beeindrucken kann. Es hilft hier nicht unbedingt nur die "obersten" Ziele als solche anzuerkennen, da dies oft sehr diffuse Dinge ("Anerkennung") sind.

Zusammenfassend denke ich also, das der Homo Oeconomicus nur in beschränkten Situationen Sinn macht. Es ist vermutlich besser, das Wirtschaftsystem als ein emergentes System anzusehen, das aus den Interaktionein einer Menge von Heuristiken untereinander entsteht.



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